Oder: Wie aus einer leisen Idee ein großer Schritt wurde
Es gibt Entscheidungen im Leben, die sich über Jahre anbahnen. Die sich im Stillen entwickeln, langsam Form annehmen – bis sie irgendwann so klar sind, dass man gar nicht mehr anders kann, als sie endlich zu leben.
So war es bei mir.
Über 30 Jahre habe ich als Crossdresser Erfahrungen gesammelt – meist im Verborgenen, manchmal zu Karneval, selten im Alltag. Mein Umfeld wusste Bescheid, Freunde, Familie – aber das öffentliche „Tamara-Sein“ war bisher immer an Events oder bestimmte Ausnahmen gebunden. Und tief in mir wuchs über die Jahre der Wunsch: Geht da noch mehr?
💡 Von Venedig nach Teneriffa – die Idee, die blieb


Vor vielen Jahren, genauer gesagt 2013, war ich ein paar Tage zum Karneval in Venedig – geschminkt, gestylt, als Frau unterwegs. Es war eine tolle Erfahrung. Der erste echte Ausbruch aus meinem bisherigen Karnevalskorsett, das bis dahin den Rahmen für Tamara gebildet hatte.
Und irgendwie war danach klar: Das war nicht das Ende der Fahnenstange. Da geht noch was. Höher, weiter, freier.
Die Idee, eines Tages einen ganzen Urlaub als Frau zu verbringen, kam immer wieder. Mal leise im Hintergrund, mal ganz präsent. Ich stellte mir vor, wie es wäre: Morgens aufwachen, Tamara sein – und den Tag einfach leben. Ohne ständiges Zurückwechseln, ohne „verkleiden und wieder entkleiden“.
Dennoch habe ich immer wieder gezögert – aus Angst, aus Unsicherheit, aus „Ach, jetzt ist eh zu spät“. Doch diese Idee ließ mich nicht los. Irgendwann wurde aus diesem Wunsch ein Plan. Und aus dem Plan wurde Realität.
✈️ Vorbereitung mit Herzklopfen
Etwa ein gutes halbes Jahr vor dem Urlaub begannen die konkreten Vorbereitungen: Flug + Hotel (LGBTQIA+ freundlich), Outfits, Make-up-Routine. Eine neue Perücke, passende Schuhe, ein bisschen Stimmenübung mit YouTube-Videos. Ich habe sogar Kontakt zur Flughafen-Security und zur Airline aufgenommen – um sicherzugehen, dass ich auch en femme fliegen kann.
Und ja, natürlich gab es Zweifel. Halte ich das zehn Tage durch? Wird man mich auslachen, anstarren? Wird das alles zu viel?
Aber ich wollte es. Und ich wusste: Wenn ich es nicht jetzt tue, dann vielleicht nie.
🌺 Warum ich das wirklich wollte
Ich wollte nicht im Glitzerkostüm durch die Straßen tanzen. Ich wollte nicht als bunter Paradiesvogel auffallen. Kein verkleideter Mann, der 10 Tage lang Karneval feiert. Dafür gibt es andere Orte und Zeiten. Nein, ich wollte einfach als Frau gesehen werden. Ganz „normal“. Ohne Maskerade.
Mir war wichtig, dass mein Auftreten stimmig ist – Kleidung, Make-up, Bewegung. Kein Drag, kein „Show-Effekt“.
Und vor allem: Ich wollte erleben, dass es funktioniert. Dass man sich als Frau zeigen kann, ohne schief angeschaut zu werden. Dass es möglich ist, seine weibliche Identität in der Öffentlichkeit zu leben – auch außerhalb von Karneval.
🏝️ Warum Teneriffa?
Manchmal fragt man sich: Warum eigentlich Teneriffa? Warum dieser Aufwand? Hätte ich nicht einfach auch eine Woche zuhause bleiben können, mich jeden Tag stylen und in die Stadt gehen? Wäre doch viel einfacher gewesen, oder?
Ja, vielleicht. Aber es gab ein paar gute Gründe für diese Entscheidung:
Erstens: Es war Karneval.
Ich dachte mir: Wenn nicht jetzt, wann dann? Zu dieser Zeit sind die Menschen immer etwas offener, toleranter – und man fällt weniger auf. Im Nachhinein stellte sich heraus: Die meisten Orte, an denen ich war – Hotel, Restaurants, Cafés, Parks – hatten mit Karneval gar nicht viel zu tun. Es war einfach Alltag. Und das war gut so. Wenn ich aufgefallen bin, dann nur im positiven Sinn.
Zweitens: Das Wetter.
Karneval auf Teneriffa ist nun mal wärmer als in Deutschland. Und ich wollte meine Kleider ausführen, leichte Stoffe tragen, einfach „Frau sein“ bei Sonnenschein, nicht bei Schneematsch. Ich wollte die weibliche Seite mit Farben, Stoffen und Sonnenlicht genießen – so, wie ich es mir immer ausgemalt hatte.
Und drittens: Die Entfernung zur Heimat.
Fern der Heimat fühlte ich mich freier. Hier kannte mich niemand. Niemand, der mich schief anschauen oder mir Wochen später beim Einkaufen begegnen würde. Klar, auch in der nächstgelegenen Großstadt hätte ich diese Anonymität finden können – aber es fühlte sich einfach sicherer an, weit weg zu sein. Ein bisschen wie ein geschützter Raum, den ich mir selbst geschaffen habe.
Im Nachhinein weiß ich: All das war hilfreich – aber nicht notwendig. Denn es stellte sich schnell heraus, dass es gar nicht auf die Umgebung ankam. Im Hotel, im Café, im Park – überall war ganz normaler Alltag. Keine besondere Aufmerksamkeit, keine schrägen Blicke. Und das hätte genauso gut auch woanders funktioniert.
💎 Und dann war ich da – Tamara auf Teneriffa

Vom ersten Moment an war es anders. Ich hatte meine männliche Rolle weitestgehend abgelegt, zuhause gelassen. Hier war ich Tamara. Nicht verkleidet. Nicht gespielt.
Ob beim Check-in, im Flieger, im Hotel, am Pool oder in der Stadt – ich wurde gesehen. Nicht immer als Mann „erkannt“, sehr oft als Frau wahrgenommen.

Natürlich hat es nicht überall funktioniert. Es gab schon ein paar Momente, in denen ich von jemandem noch als Mann erkannt wurde. Man hat dann eben genauer hingesehen, wurde neugierig – aber es war nie feindselig. Kamen Fragen, habe ich erklärt, dass ich die ganze Woche als Frau unterwegs bin, dass das für mich mehr ist als eine Verkleidung. Und das Erstaunliche? Sie haben es akzeptiert, es verstanden, und mich ab diesem Moment ganz selbstverständlich Tamara genannt.
Die meiste Zeit jedoch wurde ich jedoch als Frau wahrgenommen.
Zwei Momente werde ich nie vergessen:
Als ich mir ein zartes Armkettchen im Hotelshop kaufte. Es war ein eher spontaner Kauf – und ein ganz besonderer. Beim Anprobieren war mir der Satz „Das Armband ist ein wenig eng, als Mann habe ich ja ein etwas breiteres Handgelenk“ rausgerutscht. Die Verkäuferin schaute mich daraufhin völlig ungläubig an – fast so, als hätte ich etwas völlig Abwegiges gesagt. In diesem Blick lag so viel Selbstverständlichkeit, so viel Akzeptanz: Für sie war ich ganz offensichtlich eine Frau.
Nach dem Kauf ging ich noch einmal zu ihr zurück, einfach um mich zu bedanken – für diesen Moment, für das „Ich sehe dich genau so, wie du dich fühlst“. Und da sagte sie diesen Satz, der mir heute noch Gänsehaut macht:
„¡Ay niña, no te preocupes!“
(„Ach Mädchen, mach dir keine Sorgen!“)
Es war mehr als nur ein freundlicher Satz. Es war eine kleine Umarmung für die Seele.
Und dann das Liegen am Pool. Im Badeanzug, mit lackierten Nägeln, Sonnenbrille, Pareo – einfach da. Ich war kein bisschen nervös oder angespannt. Kein Gedanke an „sieht man was?“ oder „was denken die anderen?“. Ich lag einfach auf meiner Liege, die Sonne auf der Haut, entspannte Musik im Hintergrund – und alles fühlte sich vollkommen normal an.
🌈 Was ich daraus gelernt habe
Diese Reise war nicht nur Urlaub, sondern mehr so etwas wie ein Befreiungsschlag. Ohne Kompromisse. Ohne „aber“.
Und auch wenn ich nicht trans bin, nicht als Frau leben will und mein Alltag auch ein anderer ist – diese Tage haben mir gezeigt, dass Tamara mehr ist als ein Kostüm. Sie ist ein Teil von mir. Und wenn ich es will, darf sie raus.
Vielleicht nicht immer. Aber immer dann, wenn ich es brauche. Und vor allem: Ohne Angst.
Fazit:
Es braucht keinen perfekten Moment. Nur ein bisschen Mut.
Der Rest ergibt sich.
Deine
Tamara 💕
Du möchtest wissen, wie es mir im Urlaub ergangen ist?
Dann kannst du hier die ganze Story lesen:
Teneriffa, Teil 1 – Mein Start in den Urlaub
Teneriffa, Teil 2 – Angekommen: Zwischen Kleid, Cappuccino & Karnevalsklängen
Teneriffa, Teil 3 – Zwischen Park, Pizza & Party
Teneriffa, Teil 4 – Spa, Gespräche & eine Sardine in Flammen
Teneriffa, Teil 5 – Poolmomente und ein neues Armband
Teneriffa, Teil 6 – Tierischer Ausflug & Zipfelrock-Zauber
Teneriffa, Teil 7 – Abschied in Pumps & ein Herz voller Erinnerungen